Der
Gesamtheit der Götter Honig...
Der Herrin des Labyrithos Honig...
So lautet der Text auf einem Ton-
täfelchen, gefunden in Knossos
auf Kreta.
In diesem Text wird Ariadne,
Göttin und Herrin des Labyrinths
verehrt.
Damit wird sie zum Thema des ersten schriftlichen Zeugnisses
europäischer Mythologie und Religionsgeschichte.
Ariadne wurde in vorhomerischer
Zeit, als "überaus Reine", als Göttin
der Unterwelt, auch mit dem vor-
griechischen Namen Persephone
benannt, aber auch als Aridela, am Himmel die "überaus
Klare", verehrt.
"Sie war als vorhomerische
Gestalt das
göttliche Mädchen der Kreter, eine
mondhafte Göttin, doch nicht bloß
der Mond am Himmel, sondern eine
gnadenreiche, in das Leben zurück-
führende Herrin des Toten reiches."
Karl Kerényi, "Auf Spuren des Mythos"
Seit Homer war sie die sterbliche
Königstocher des kretischen Königs
Minos und der Pasiphae.
Sie gab Theseus aus Liebe ein Garn-
knäuel, damit er an dessen Faden
nach der Tötung des Minotauros,
ihres Halbbruders, den Rückweg
aus dem Labyrinth fände.
Sie verließ Kreta mit Theseus,
der ihr die Ehe versprochen hatte,
wurde aber im Schlaf von ihm auf
der Insel Naxos zurückgelassen.
Dionyssos nahm sich der Ver-
zweifelten an und machte sie
zu seiner Gemahlin.
Die Krone der Ariadne, ihr Braut-
geschenk, wurde als Sternbild
("Nördliche Krone") an den
Himmel versetzt.
In einer anderen Version wird
Ariadne von Artemis getötet
oder stirbt bei der Geburt
ihres Kindes.
In einer weiteren Version erhängt
sich die Schwangere. Wiederum
wird ihr nachgesagt, dass sie sich
dem "Wohlleben" ergeben habe
und ein "liederliches Leben"
geführt habe.
Ariadne, die Königin
der dionysischen
Frauen, ist voller Widersprüche.
Nichts Menschliches ist ihr fremd,
aber sie lebt in ständiger Spannung
zum Göttlichen. Sie stellt sich dar
als ein mythisierter Wechsel von
Leid und Seligkeit. Sie symbolisiert
in ihrem Schicksal Grenzsituationen ...
Gustav Rene Hocke, "Die
Welt als Labyrinth"
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