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 Andreas Hutter
RÄUME

ANDREAS HUTTER UND EVELYN FUCHS

 
Die wichtigste Denkfigur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist wohl diejenige vom Verschwinden des Menschen. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße philosophische Metapher vom Ende der Geschichte, ihr Erscheinen dokumentiert vielmehr das ganz reale Einwirken mächtiger politischer Kräfte auf unsere Lebenswirklichkeit, die in immer rascherer Folge massive Veränderungen erfährt. Die Verfassung unserer Welt definiert und reglementiert heute sehr genau den Raum, der dem Menschen zur Verfügung steht, und die Zielrichtung geht dahin, ihn vom Subjekt des Raumes in ein bloßes Merkmal des Raumes zu verwandeln.
Das Theater der Gegenwart muss dieser Verfassung der Welt Rechnung tragen, und der Art und Weise, in der diese unsere Wahrnehmung formt, uns selbst formt, uns einen Platz zuweist, Grenzen zieht und machtvoll die Einhaltung dieser Grenzen gebietet. Evelyn Fuchs und Andreas Hutter, zwei Künstler, die für ein Theater der Grenzüberschreitung stehen, haben sich zu einer auf mehrere Jahre angelegten Arbeit zusammengefunden, deren Projekte neue Räume erschließen werden. Neue Räume für politisches Denken, neue Räume für die Wahrnehmung, neue Räume für das Theater.
 
Am Verschwinden des Menschen arbeiten viele der besten Gehirne und riesige Industrien. Der Konsum ist die Einübung der Masse in diesen Vorgang, jede Ware eine Waffe, jeder Supermarkt ein Trainingscamp. Das erhellt die Notwendigkeit der Kunst als Mittel, Wirklichkeit unmöglich zu machen. Ich sehe da eine Möglichkeit: das Theater zu benutzen, um Phantasieräume zu produzieren, Freiräume für Phantasie - gegen diesen Imperialismus der Besetzung von Phantasie und der Abtötung von Phantasie durch die vorfabrizierten Klischees und Standards der Medien. Ich meine, das ist eine primäre politische Aufgabe, auch wenn die Inhalte überhaupt nichts mit politischen Gegebenheiten zu tun haben.
Heiner Müller
 
NEUE RÄUME
Wie richtig der Dichter und Dramatiker Heiner Müller mit seiner Einschätzung lag, zeigt sich heute, denn die Kräfte der globalen Medien- und Wachstumsgesellschaft haben das Theater druckvoll gebeugt und umgeformt, strukturell und betriebswirtschaftlich, aber ganz besonders in seiner Erscheinungsform. Was Müllers Einschätzung noch hinzuzufügen wäre, ist der Druck der Spaßgesellschaft, demzufolge heute alles immer nur lustig und konsumierbar sein muss, Stücke, Schauspieler und Inszenierungen, was weite Teile der Theaterlandschaft in jene zwanghaft humoristische 'Kultur light' hineingetrieben hat, von der man weiß, daß sie funktioniert und die aus Angst vor der Quote immer weiter um sich greift.
Sie funktioniert und ihre wahre Funktion besteht darin, vor dem Druck der am Werk befindlichen Kräften die Augen zu schließen und das Verschwinden des Menschen zu leugnen. Theater heute muss sich aber seiner Gegenwart als Darstellende Kunst besinnen, wenn es diesem Druck etwas entgegensetzen will. Mit seinen Mitteln muss es das Verschwinden des Menschen zeigen, denn dieser Untergang und dieser Überlebenskampf des Menschen sind das Dramatische und einzig die Darstellung dieser Energien öffnet neue Räume. Das gilt nicht nur für die Inhalte der Theaterliteratur, sondern vor allem für die Theaterformen und Spielweisen, die selbst immer der unmittelbarste Ausdruck dieser Vorgänge sind.
 
Man kann sehr wohl wetten,
dass der Mensch verschwindet
wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.
Michel Foucault
 
TEXTRÄUME
Sprachkunstwerke, dramatisch, lyrisch oder episch, die das Verschwinden des Menschen dokumentieren, sind heute als sinnliche Text-Räume zu lesen. Denn verfolgt man die Entwicklung der Literatur, beobachtet man das allmähliche Verschwinden von Handlungsgerüst, Personen, Rollen, Charakteren, Orts- und Zeitangaben und dergleichen mehr Faktoren. Es handelt sich dabei nicht um die Auslöschung dieser Faktoren, sondern um ihr Verschwinden von der Oberfläche der Texte, oder richtiger, um ihre Verwandlung von einem äußerlichen Merkmal in ein inneres, denn das alles ist noch da, es ist nur transformiert in eine andere Bewußtseinsebene.

So entstehen Texte, die eher eine Gedanken- und Assoziationswelt zum Ausdruck bringen, eher eine innere Welt als eine Erfahrungswelt oder vielmehr eine ineinander gekippte innere und äußere Welt. Gesucht wird nach einer Möglichkeit in dieser Welt zu sein, gesucht wird nach einem möglichen Ich, der Text sucht mich. Und es ist ihm ein dramatisches Scheitern eingeschrieben, ein Scheitern als Bedingung meiner Existenz und mit diesem eingeschriebenen Scheitern auch der Abdruck einer Erlösungsphantasie. Das tragische Scheitern und der Erlösungsgedanke sind per definitionem zwei Hauptmerkmale des Dramas, aber sie sind nicht mehr an einer Handlung, an einem Schicksal oder einem Helden festgemacht, sondern sie wuchern durch den Text, auf der Suche nach mir.

Bei dieser Art von Dichtung handelt es sich um etwas Begehbares, um eine Textlandschaft, die ich betreten darf, soll und muß, nicht um Sprache als Abbildungsverfahren, das mir wie ein Bild die Welt abbildet oder wie eine Geschichte mir etwas über sie erzählt, sondern um Sprache als Raum, den ich als etwas von mir fremdes Erfahren kann, und in dem ich all dem begegnen kann, was ich verloren geglaubt habe, Menschen, Situationen, Konflikten, Handlungen, Gesprächen - nur in einer transformierten Form, nämlich als von mir selbst gedacht und gemacht, denn dieser Raum aus Sprache ist das Zuhause all meiner eigenen Zustände und er zeigt mir daß die Welt nur das sein kann, was in meiner eigenen Wahrnehmung entsteht, und daß ich selbst der Urheber dieser Welt bin.
Und damit zwingen uns diese Texträume auch, uns zu unserer politischen Verantwortung zu bekennen, denn wir können uns nicht zurücklehnen und fremde Vorgänge beobachten, um dann zu unserer Beruhigung Täter -und Opferrollen zu verteilen, sondern wir erfahren uns als den Auslöser unseres eigenen Überlebenskampfes - und diese Dramaturgie erschließt neue Räume, in neuen, älteren und auch in ganz alten Texten, und das ist die Gegenwart des Theaters.
 
Alle unsere Maschinen sind Bildschirme, wir selbst sind Bildschirme geworden und das Verhältnis der Menschen zueinander ist das von Bildschirmen geworden.
Jean Baudrillard
 

SZENISCHE RÄUME
Ästhetik ist nicht die Lehre von den schönen Dingen und Oberflächen, der Begriff bezeichnet viel grundlegender die Lehre von Form und Wahrnehmung. Und das Antlitz der politischen Veränderung der Welt ist immer die ästhetische Veränderung, das zeigt sich in der globalisierten Medienanmutung, in der globalisierten Architektur, in der globalisierten Mode und im globalisierten Schönheitsideal. Und so wie diese ästhetische Monopolisierung zahlreiche andere Formen auslöscht, so hat die entscheidende Veränderung unserer Wahrnehmung eine enorme Beschleunigung bewirkt im Prozeß des Verschwindens des Menschen. Das Übermaß der fertigen Bilder, die vom Menschen, seinem Aussehen, seinem Tun, den Möglichkeiten seiner Lebensführung, ja von der ganzen ihn umgebenden Welt in Umlauf sind, hat ein Umkippen der Wahrnehmung bewirkt. Nicht mehr die Bilder folgen der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit folgt den Bildern. Vorproduzierte Ästhetik regiert die Wahrnehmung und so erweist sich die Wirklichkeit als ein Gebilde aus Geboten und Verboten. Das ist die Wirklichkeit.

Die politische Aufgabe des Theaters ist es, dem etwas entgegenzusetzen: das Unmöglich-Machen von Wirklichkeit ist szenisch gesehen eine ästhetische Transformation: das Verlassen der Bebilderung. Es kann sich auf der Bühne nicht mehr um die szenische Bebilderung eines Bühnengeschehens handeln, sondern um eine szenographische Verdichtung als Momentaufnahme der Gegenwart und der ihr zugrundeliegenden Regeln und Vorgänge. Eine ästhetische Verdichtung, die den Textraum, seine Inhalte und seine Energien für unsere Wahrnehmung sinnlich erfahrbar macht.

 
INNERE RÄUME
Auch die Spielweise erfährt diese ästhetische Transformation: das Verlassen eines Theaters der Identifikation, das Verlassen der linearen Erzählform. Um sich nicht der Matrix vorgegebner Rollenbilder, Verhaltensschablonen und Darstellungsmuster zu beugen, wird der Schauspieler mit Stimme und Körper Teil der szenographischen Ästhetik, Teil der Sprache einer Aufführung, Teil der Ausdruckssubstanz. Dies geschieht zu seiner eigenen Befreiung, wie ein Musiker arbeitet er mit Körper und Stimme gemäß der Grammatik des Textraumes, damit auch er und sein Spiel Wirklichkeit unmöglich machen, sein Ziel: neue Räume zu gewinnen im Kampf gegen sein eigenes Verschwinden und uns, die wir ihm zusehen, neue Räume zu erschließen im Kampf gegen unser Verschwinden.
 
 
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