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 Andreas Hutter
BAMBILAND
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Von der Sprache über die Textfläche
in den Klangraum:
BAMBILAND von Elfriede Jelinek




Es ist ein eigenartiger Reflex: kurz nachdem sich ein Begriff durchsetzt, mit dem man endlich etwas bezeichnen kann, was bisher niemand in Worte fassen konnte, was aber dennoch spürbar und greifbar vor uns liegt und uns beschäftigt, uns herausfordert und uns dazu zwingt, neue Wege zu beschreiten, - kurz nach dem Entstehen solch eines Begriffs also, gehört es zum guten Ton, über diesen Begriff herzufallen, ihn madig zu machen und zu diskreditieren. In manchen Fällen werden diese Ausdrücke sogar regelrecht gehasst, und kaum ist die erste Äußerung des Hasses publik gemacht, fallen Unzählige in den Tenor ein. Bekannte Beispiele dafür sind Begriffe wie "Postmoderne" oder "Dekonstruktion", die man heute kaum mehr in den Mund zu nehmen wagt, um sich nicht selbst auch Angriffen auszusetzen. Eigenartige Reaktion, nicht? Man müsste einmal in Canettis "Masse und Macht" nachlesen, warum das so ist. Besonders übel stößt es auf, wenn solch vage Racheakte sich gegen Menschen richten, meist Menschen, die mit besonders avancierten Begriffen oder Gedanken untrennbar verbunden sind. So hat es ein regelrechtes Gemetzel unter den Namen Foucault, Derrida und Baudrillard gegeben, 3 französische Philosophen und Denker, vor deren Arbeit wir, salopp gesagt, noch in der Vergangenheit gelebt haben, auf deren Namen aber mittlerweilen auch der beschränkteste Feuilletonist schon herumgetrampelt ist. Gelesen hat die Werke dann meistens keiner.
 

 
Man sollte ja meinen, daß Respekt, Achtung und konstruktive Auseinandersetzung den Diskurs - auch dieses Wort ist von einer Aura erbitterten Hasses umwoben, daß spürt man schon im Moment, wenn man es nur denkt - prägten, und daß großartige Denkarbeit dankbar angenommen würde, um selbst richtig, besser oder auch nur erfrischt weiterdenken zu können (also so ein bißchen der olympische Gedanke: die Fackel wird von einem Läufer dem anderen übergeben, sie darf um keinen Preis erlöschen), - leider ist allzu oft das Gegenteil der Fall und leider allzuoft aus Unkenntnis oder Unwissen, das ist noch der angenehmere Fall, oder aus denkerischer und menschlicher Niedertracht, und das ist genau der Fall, der einen wieder Thomas Bernhard als Schutzheiligen anrufen lässt.

Soeben kommt es wieder zu einem Schulbeispiel an Begriffshinrichtung, und zwar mit dem Begriff /Textfläche/, ein wunderbares Wort, mit dem man zum ersten Mal jener Art von dramatischen Texten einen Namen geben kann, die seit Heiner Müllers epochaler "Bildbeschreibung" aus dem Jahr 1984 die Theaterwelt verändern. Dies geschieht wohl nicht aus Zufall, denn das Wort ist seit einigen Jahren untrennbar mit den Theatertexten Elfriede Jelinks, der österreichischen Nobelpreisträgerin für Literatur 2004, verbunden. Eflriede Jelinek gehört nicht nur zu den bestgehassten Zeitgenossen, man kann davon ausgehen, daß sie seit der Verleihung des Nobelpreises auch zu den meistbeneideten gehört, und da kann man ja nur draufhauen auf diese unerträglichen sogenannten Textflächen, von denen da immer behauptet wird, die seien was besonderes, dabei sind die doch nur erfunden worden, um zu bemänteln, daß man eigentlich gar nicht richtig schreiben kann.

Für jemanden, der Jelinek inszeniert, ist der Begriff der Textfläche dagegen von unschätzbarem Wert, nicht nur weil Einar Schleef im Schlußbild seiner legendären "Sportstück"-Inszenierung 1998 am Wiener Burgtheater ein gigantisches, mit Text bedrucktes Bodentuch über die völlig offene Fläche der Burgtheaterbühne breiten ließ, sodaß er selbst für den Schlußmonolog über diese Textfläche schreiten konnte.

Verfolgt man die Entwicklung der Literatur, insbesondere der dramatischen Literatur im 20. Jahrhundert, beobachtet man das allmähliche Verschwinden von Handlungsgerüst, Personen, Rollen, Charakteren, Orts- und Zeitangaben und dergleichen mehr Faktoren. Es handelt sich dabei nicht um die Auslöschung dieser Faktoren, sondern um ihr Verschwinden von der Oberfläche der Theaterstücke, oder, noch richtiger, um ihre Verwandlung von einem äußerlichen Merkmal in ein inneres, denn irgendwie ist das alles noch da, es ist nur transformiert in eine andere Bewußtseinsebene. So entstehen Texte, gedruckt oft ohne Interpunktion und/oder gliedernde Absätze, die eher eine Gedanken- und Assoziationswelt zum Ausdruck bringen, eher eine innere Welt als eine Erfahrungswelt oder vielmehr eine ineinandergekippte innere und äußere Welt. Es sind auch keine Monologe, denn offensichtlich gibt es hier kein identifizierbares Subjekt, das sich an uns wendet, und doch spricht jemand. Aus diesen Texten spricht es, sie sind unzweifelhaft dramatisch, denn es geht um uns, ja es geht eigentlich um uns alle, gesucht wird nach einer Möglichkeit in dieser Welt zu sein, gesucht wird nach einem möglichen Ich. Unzweifelhaft dramatisch sind sie auch, weil ihnen ein Scheitern eingeschrieben (böses, angeberisches, prätentiöses Wort!) ist, ein Scheitern als Bedingung unserer Existenz und mit diesem eingeschriebenen Scheitern auch der Abdruck einer Erlösungsphantasie. Das tragische Scheitern und der Erlösungsgedanke sind per definitionem die zwei Hauptmerkmale des Dramas, aber sie sind hier nicht mehr an einer Handlung, an einem Schicksal oder einem Helden festgemacht, sondern sie wuchern durch den Text.

Natürlich verliert man da zunächst den Boden unter den Füßen: ohne geeignetes Instrumentarium sieht man sich einem sprachlichen Monolithen gegenüber, das gewohnte Handwerkszeug hilft nicht mehr. Was tun, wie hineinkommen?

In diesem Moment stellt sich der Gedanke an eine Textfläche wieder ein, was wäre wenn es sich hier um etwas Begehbares handelt, um eine Textlandschaft, die man betreten darf, soll und muß, nicht um Sprache als Abbildungsverfahren, das mir ähnlich einem Bild die Welt abbildet und mir etwas über sie erzählt, sondern um Sprache als Raum, den ich als etwas von mir fremdes Erfahren kann, und in dem ich all dem begegnen kann, was ich verloren geglaubt habe, Menschen, Situationen, Konflikten, Handlungen, Gesprächen - nur in einer völlig transformierten Form, nämlich als von mir selbst gedacht und gemacht, denn vielleicht ist dieser Raum aus Sprache das Zuhause all meiner eigenen Zustände und vielleicht kann die Welt nur das sein, was in meiner eigenen Wahrnehmung entsteht, vielleicht bin ich der Urheber dieser Welt? Und je mehr ich der Tragfähigkeit der Textfläche vertraue, je weiter ich voranschreite in diesen Raum, desto mehr erlebe ich, daß mein Ich mit vielfältigen anderen Ichs gebrochen ist, sie alle sprechen miteinander in dieser Textfläche, es ist eine Stimmenvielfalt, eine Polyphonie, aus ihnen ist recht eigentlich das Gewebe geflochten, auf dem ich unterwegs bin.

In "Bambiland" ist dieses Stimmengeflecht ungeheuer reich, die geschriebene Textfläche richtet sich auf zu einem tatsächlichen Raum, zu einer Architektur, die am ehesten mit einem musikalischen Erlebnis zu vergleichen ist, und das íst der eigentliche Zusammenhang mit der oft beschworenen Musikalität Elfriede Jelineks, denn Musik ist ihrem Wesen nach nicht-sprachlich und Jelinek führt die Sprache weg von ihrer Natur als Instrument zur logischen Durchdringung der Welt hin zu einer pochenden, atmenden und schwingenden Gegenständlichkeit, aus der sie Räume baut, durch die wir schreiten, wenn wir sie lesen, und noch mehr, wenn wir sie hören.

Die Stimmen, mit denen sie in "Bambiland" arbeitet, reichen von der griechischen Antike über die des "Übermenschen" aus der Philosophie bis hin zu den Stimmen unserer Welt, ihrer Stimme, den Stimmen aus den Medien, unserer Nachbarn und unserer eigenen:

"Bambiland ist der Irak, das neue Babylonien - die moderne Kriegsspielzeuglandschaft für abenteuerlustige Helden. Bambiland kommt aber als Spielmaterial für die, die die Reise dorthin nicht buchen konnten, weil sie ausgebucht war, via Satellit auch direkt ins Haus. Elfriede Jelinek hat die medialen Nachrichten und Kommentare (vor allem von CNN) ausgeweidet, polemisch mit Zitaten aus den "Persern" des Aischylos durchschossen und zu einem eigenen Text verarbeitet. In den Text hineinmontiert sind Bilder amerikanischer Waffensysteme und Bilder der Jahrtausende alten Kultur des Zweistromlandes, in dem u.a. das Gilgamesh-Epos entstanden ist. Elfriede Jelinek nimmt, falls man das voneinander trennen kann, weniger die Position einer Kriegs- als die einer Medienbeobachterin ein und zeigt, welche Folgen der von uns allen wiedergekäute Mediensalat auf den Einzelnen hat: Die moderne Variante altmodischer Zinnsoldatenspielereien ist der heutige, mediale Abenteuerspielplatz, der allerdings den echten Tod live ins Haus bringt: jeder kann als "eingebetteter" Journalist mitspielen und Mittäter werden, - auch in den Bambiländern Österreich, Deutschland oder sonst wo. (...)

"Bambiland" geht über die klassische moralisierende Kriegskritik weit hinaus, weil es weniger den Krieg geißelt, als von sich in der Sprache nachbildenden Katastrophen handelt, wie sie sich seit dem Angriff auf die Twin Towers und dem Irakkrieg forciert ereignen. Aischylos warnte noch vor der Hybris, Jelinek hält sich damit nicht mehr auf und praktiziert den Vollzug: die Zivilisation vernichtet sich wie eine Junggesellenmaschine selbst." (Joachim Lux im Programmheft zur Uraufführung am Burgtheater 2003)

Krieg, Macht, Gewalt, Anmaßung: Immer höher und immer weiter richtet sich der Klangraum über der Textfläche auf, immer mehr überlagern sich die zunächst klar erkennbaren Stimmen und Instrumente, immer schwieriger wird es, meine Stimme als meine eigene Stimme zu identifizieren, fremde Mächte und Einflüße fließen durch sie hindurch und in sie hinein, ich erlebe, je weiter ich voranschreite, wie ich mir genommen werde, das Drama ist das meines eigenen Zerfalls, der sich im Zerfallen aller bisherigen Spielregeln und Werte spiegelt und die Sieger sind nicht bereit, mit dem Siegen aufzuhören. Was bleibt ist die Ohnmacht des Schwächeren, die Ohnmacht des Verlierers, die Ohnmacht des Bedeutungslosen, meine eigene Ohnmacht. "Der Sprachrhythmus von "Bambiland" ist der eines Maschinengewehrs, der Nachhall klingt wie ein Maschinenraum so mächtig. Ein Eindruck bleibt immer, sowas wie ganz langsam aber gezielt "Luft abwürgen", ích meine nicht, dass mir die Puste ausgeht, sondern dass der Text langsam aber stetig diese spezielle Gewalt ausübt. Die Form hat den Inhalt absolut im Griff." So hat Schauspielerin Evelyn Fuchs, die "Bambiland" in Bregenz als Soloabend spielen wird, die Art und Weise bezeichnet, wie der von Joachim Lux beschriebene, gewaltsame Vorgang in Jelineks Textfläche zur Form gelangt.

Was diese Textfläche mir noch mitteilt, ist, daß ich selber beteiligt bin am Zustand der Dinge, ich kann mich nicht länger als Unbeteiligten erleben in Bezug auf die militärische Intervention im Irak, auch wenn ich nie beim Militär war, mein Land keine Truppen entsendet hat, ich glühender Pazifist oder einfach nur desinteressierter Zeitgenosse bin, ich erfahre mein Tun oder Nichttun als Bestandteil der Welt. Die Spielregeln von "Bambiland" - dem Land, in dem mit einem gewaltigen rhetorischen Kunstgriff Ungeheuerliches zu Harmlosem verniedlicht wird - gelten für mich, weil sie von mir mitgemacht werden, weil ich nicht anders kann, als Teil des Spiels zu sein, ich bin Opfer und Täter zugleich, indem ich da bin und denke, was ich denke, in der Sprache, in der ich es denke, die ich wiederfinde in der Textfläche von "Bambiland".

 
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